Friseurinnen und Friseure kommen ihren Gästen beim Haareschneiden nah – zu nah für Corona. In Bayern müssen die Salons deshalb jetzt schließen, kündigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder heute an. In anderen Bundesländern haben sie noch geöffnet. Hier erzählt der Friseur Max Höhn, der einen Salon in Berlin-Mitte betreibt, wie das Virus seine Arbeit verändert – und wie er sich selbst, seine Mitarbeiter und seine Kundinnen und Kunden schützt.
ZEIT ONLINE: Wie geht es Ihnen, Herr Höhn?
Max Höhn: Ich bin verunsichert. Vor einer Woche waren wir noch bis in den Juni ausgebucht und ich habe häufig unsere Gäste zur Begrüßung umarmt. Jetzt werden ständig Termine abgesagt, und wir halten Abstand voneinander. Normalerweise besuchen uns 18 bis 22 Kunden am Tag, gestern waren es nur sechs, heute sind es zwölf. Allerdings versuche ich mich auf das Positive zu konzentrieren: Wir haben viel Platz, 160 Quadratmeter und nur sechs Stühle, wir bieten Raum und Zeit für einen guten Haarschnitt und leben nicht von Schnitten, die in zwanzig Minuten fertig sind.
ZEIT ONLINE: Was hat sich in Ihrem Salon verändert seit dem Ausbruch von SARS-CoV-2?
Höhn: Wir sorgen dafür, dass jetzt statt sechs nur noch drei bis vier Kunden und Kundinnen gleichzeitig im Salon sind. Dafür haben wir Termine nach hinten geschoben oder auf einen anderen Tag verlegt. Umarmungen gibt es nicht mehr, wir schneiden soweit es geht nicht von vorne, sondern über den Spiegel von hinten, und wir benutzen auch Handschuhe zum Schneiden, sofern Kunden es wünschen. Hygiene ist bei mir im Laden schon immer ein wichtiges Thema gewesen. Bisher haben wir den Kamm, die Schere sowie die Haarschneidemaschinen in der Regel einmal am Tag desinfiziert. Heute desinfizieren wir nach jeder Kundin. Den Friseurumhang waschen wir schon immer nach jedem Termin. Allerdings heute bei höherer Temperatur. Der Abstand zwischen den Arbeitsplätzen ist bei uns ja sowieso recht groß, zwischen 1,60 bis 1,70 Metern.
ZEIT ONLINE: Benutzen Sie einen Mundschutz beim Haareschneiden?
Höhn: Ich habe versucht, Mundschutzmasken zu kaufen, aber keine bekommen. Wenn ich welche hätte, würde ich sie dann tragen, wenn der Gast sich das explizit wünscht. Natürlich huste ich auch mal, hier sind schließlich Haare in der Luft, wenn ich sie einatme, verschlucke ich mich. Wenn ich Haarspray versprühe, niese ich. Das ist ganz normal. Jetzt sage ich den Kunden: Keine Sorge, das kommt jetzt nur vom Produkt.
ZEIT ONLINE: Und wie schützen Sie sich selbst?
Höhn: Einige Gäste rufen an und fragen, ob sie trotz Erkältung kommen können. Denen sage ich: Nein, bleib lieber zu Hause und komm erst, wenn es dir besser geht. Ich möchte mich selbst sicher fühlen, und ich muss auch die anderen Gäste und meine Mitarbeiter schützen.
ZEIT ONLINE: Sie haben momentan zwei Mitarbeiter und zwei Auszubildende. Wie ist die Stimmung im Team?
Höhn: Meine beiden Azubis sind gerade krankgeschrieben. Sie sind erkältet und ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich bitte auf Corona testen lassen. Alles für den Gast. Natürlich waren sie besorgt, dann hört man sich das an und sagt: Du bist nicht allein, du schaffst das. Bei beiden war dann das Ergebnis negativ, aber ich möchte trotzdem nicht, dass sie hier mit Schnupfnasen im Laden stehen, obwohl ich sie natürlich gut gebrauchen könnte. Und auch mit den anderen Mitarbeitern spreche ich jeden Tag, meist in Einzelgesprächen, darüber, wie es ihnen geht. Das ist besonders wichtig in einer Zeit, in der alle verunsichert sind.
ZEIT ONLINE: In Bayern müssen Friseure nun ihre Läden schließen. Haben Sie schon darüber nachgedacht – Ausgangssperre hin oder her?
Höhn: Ich würde es begrüßen, wenn demnächst einmal alle Frisiersalons für zwei bis vier Wochen geschlossen würden. Auch deshalb fände ich eine Ausgangssperre richtig. Wir brauchen Zeit, damit das Virus sich nicht weiter verbreitet. Und auch wir brauchen Zeit, um durchzuatmen, uns auf die neue Situation einzustellen. Es bringt mir nichts, wenn wir alle in ein paar Monaten schlapp machen.
ZEIT ONLINE: Weshalb?
Höhn: Ich stelle fest, dass meine Mitarbeiter und ich durch die ständige Unsicherheit und die immer neuen Erkenntnisse über das Virus schlicht erschöpft sind. Wir selbst haben Sorge, dass wir oder unsere Eltern und Verwandten erkranken. Wir sorgen uns um unsere Existenz als Friseure. Und dazu kommt noch, dass wir den ganzen Tag mit den Gefühlen unserer Gäste konfrontiert. Die sind uns natürlich nicht egal, schließlich verbringen wir oft Jahre mit ihnen und ihren Köpfen, und ein Termin kann schon mal bis zu vier Stunden dauern. Wir kennen unsere Gäste. Wir hören ihnen zu, sind einfühlsam. Momentan geht es immer um Corona. Von morgens bis abends. Es ist ein Kraftakt, durch den Tag zu kommen. Da geht man abends nicht raus und ist entspannt. Ich denke, eine Pause wäre tatsächlich notwendig.
ZEIT ONLINE: Beim Friseur schütten viele ihr Herz aus. Was erzählen Ihre Kunden gerade konkret?
Höhn: Das Schöne ist ja: Viele reden miteinander – trotz des Abstands zwischen den Stühlen. Gerade erst war ein Mann hier, der als Selbstständiger arbeitet und dem nun alle Jobs wegbrechen. Im ersten Moment tut mir das leid, und dann frage ich mich, ob er sich den nächsten Besuch bei mir noch leisten kann. Ältere Kunden berichten etwa davon, dass ihnen Hilfe beim Einkaufen angeboten wurde und sich Nachbarn nach ihrem Wohlergehen erkundigt haben. Hier kommen ganz unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch. Ich verstehe meinen Laden als Spiegel einer Gesellschaft, die gerade nach einer extra Portion Halt verlangt. Gerade deshalb – und natürlich für einen guten Haarschnitt – sind wir wichtig für die Gesellschaft und müssen fit bleiben.
ZEIT ONLINE: Wie wirkt sich die Corona-Krise gerade bereits auf den Umsatz aus?
Höhn: Der ist erst mal ungefähr um zwei Drittel zurückgegangen.
ZEIT ONLINE: Wie lange können Sie das durchhalten?
Höhn: Ich habe meinen Salon seit 15 Jahren, ich hätte wohl etwas falsch gemacht, wenn ich keine Rücklagen hätte, um eine Weile durchzuhalten. Wahrscheinlich würde ich nach einem halben Jahr nicht mehr so entspannt klingen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie für Ihre Mitarbeiterinnen schon Kurzarbeitergeld beantragt?
Höhn: Noch nicht, aber es kann natürlich dazu kommen, wenn die Krise weiter andauert. Die Ladenmiete, die Steuer und andere Fixkosten fallen ja weiter an, auch wenn weniger Kunden kommen. Aber gerade gehe ich davon aus, dass ich sie weiter bezahle, auch wenn wir über eine Zeit schließen würden. Wir sind momentan unterbesetzt – und in diesem Fall kommt mir das ausnahmsweise mal zugute.
ZEIT ONLINE: Was wünschen Sie sich von der Politik?
Höhn: Menschliche Entscheidungen. Dass den kleinen Unternehmen und Freiberuflern schnell und unbürokratisch geholfen wird. Gerade habe ich mit einem jungen Mann gesprochen, der vor einem Jahr ein Restaurant eröffnet hat und nun vor dem Nichts steht. Da helfen auch keine zinslosen Kredite, die später abbezahlt werden müssen, das verschiebt lediglich das Problem. Wir wissen ja heute noch nicht, wo wir nach Corona mit unseren Unternehmen stehen. Und leider haben wir alle Angst vor noch mehr Schwarzarbeit in unserer Branche.
ZEIT ONLINE: Warum denn das?
Höhn: Ich habe eine Frau getroffen, die bis vor Kurzem noch Kundin in meinem Laden war und die mir ganz unverfroren erzählt hat, dass sie jetzt aus Schutz vor Corona eine Privatfriseurin hat. Es ist ja auch einfach, sich zu Hause an der Steuer vorbei die Haare schneiden zu lassen. Und wenn die Leute jetzt auf den Geschmack kommen, ist die Gefahr groß, dass das nach der Krise so bleibt. Da muss die Politik definitiv einen Riegel vorschieben. Jeder, der sich an dieser Krise bereichert, hat noch nicht verstanden, worum es gerade geht.